Vom Warten
(Diakon Lange)
Vom Warten
Eine chinesische Geschichte erzählt: Ein Bauer hatte sein Feld gut bearbeitet und eingesät. Doch während auf dem Acker des Nachbarn schon bald kräftiges Grün wuchs, ging des Bauern Saat nur langsam auf. Täglich wurde seine Ungeduld größer. Die Sorge um sein Feld raubte ihm bald seinen Schlaf. Doch eines Morgens hatte er eine Idee. Der Bauer lief zu seinem Acker und begann die zarten Schösslinge ein wenig in die Höhe zu ziehen. Gegen Abend beendete der Bauer zufrieden sein Tagwerk und lief heim. Unterwegs traf er seinen Nachbarn und berichtete ihm, wie er seinen Sprösslingen beim Wachsen geholfen habe. Gespannt liefen beide zu seinem Acker und fanden alles zerstört und verwelkt. Lange noch erzählte man im Dorf von dem Bauern, der nicht gelernt hatte zu warten.
Können Sie warten?
Auf einen Brief, ein Paket, eine Messenger-Nachricht - oder gar auf einen Arzttermin?
Oder strengt es Sie an: das Warten auf Rückrufe, Ersatzteile, Fachkräfte - oder auch auf bessere Zeiten?
Wer sich samstagmorgens in die Warte-Schlange beim Bäcker einreiht, findet hier nicht immer Glaube, Hoffnung oder Liebe, sondern manchmal Ungeduld und latente Gereiztheit. Das Maß des Unmutes über das Warten steht dabei oft in keinerlei Verhältnis zur Dauer des Wartens.
In einer Zeit, in der sich alles immer stärker zu beschleunigen scheint, scheint auch das Warten aus der Zeit gefallen. Vielen Menschen gilt das Warten als größtes Alltagsärgernis. Warten und warten können wird zur Aufgabe.
Wer wartet heute noch?
Vieles kann schnell gehen und ist planbar – oft selbst das Warten. Nach einer Bestellung benachrichtigt mich eine App oder E-Mail darüber, wo sich die Ware zurzeit befindet und wann ich mit dem Eintreffen rechnen darf. Die Warteschleifen mancher Telefonanlagen informieren darüber, wie viele Anrufer vor mir dran sind und wie lange ich noch warten muss.
Wir warten heute weniger als früher - zum Glück.
Aber gerade da, wo es um etwas existentiell Wichtiges geht, wird uns das Warten lang: beim Warten auf einen dringenden Operationstermin etwa.
Warten ist ja ein Zustand, in dem wir uns als eher hilflos, ohnmächtig und der Hilfe bedürftig empfinden. Warten bedeutet einen existentiellen Kontrollverlust. So gibt es zumeist wenig Anlass dem Warten nachzuweinen.
Warten lernen
Auch die Zeiten, in denen das Kirchenjahr mit seinen Wechseln von Fasten und Feiern, Er-Wartung und Erfüllung das Leben prägte, scheinen in die Ferne gerückt.
In vielen Kreisen gilt die Fähigkeit zu warten aber auch als Ausdruck von Selbstdisziplin und ist somit eine Tugend. Wir lehren Kinder warten zu lernen, nicht alle Bedürfnisse sofort erfüllt bekommen zu können.
Bereits in den 1970er Jahren stellte der US-Psychologe Walter Mischel fest, dass diejenigen Menschen, die warten konnten, erfolgreicher im Beruf und glücklicher in ihrem Privatleben waren.
Im akzeptierten Warten liegt etwas Demütiges
Im Warten liegt auch das Anerkennen, dass es Dinge gibt, die man nicht erzwingen kann, die der eigenen Macht entzogen sind, die Zeit brauchen. Im Vertrauen auf etwas, das der eigenen Kraft entzogen ist.
Manchmal lohnt es zu warten
Einen Warte-Zustand erlebten auch die Freunde Jesu zwischen Himmelfahrt und Pfingsten.
Jesus hatte bei seiner Verabschiedung versprochen, dass er seinen Nachfolgern die „Kraft aus der Höhe“, den Heiligen Geist, senden würde (vgl. Lukas-Evangelium 24, 49). Bis dahin sollten sie Jerusalem nicht verlassen, sondern darauf warten (vgl. Apostelgeschichte 1,4). Wann genau dies geschehen würde, wussten die Jünger nicht.
So standen die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten im Zeichen des Abschieds - und des Wartens.
Doch das Warten der Jünger war keineswegs untätiges Abwarten. Statt bloß abzuwarten, bis sich die Verheißung des Heiligen Geistes erfüllte und sie ihrem Auftrag nachkommen könnten, bereiteten sich die Jünger in dieser Zwischenzeit auf zukünftige Aufgaben vor. Sie ergänzten den Kreis der Apostel, kamen zum Gebet zusammen. Und ihr Kreis wuchs.
Ich wünsche uns, dass wir immer wieder unterscheiden können, wo wir aktiv werden müssen und wo wir uns gedulden müssen, weil manches trotz allen Aktivseins Zeit und Geduld braucht. Nicht nur zwischen Himmelfahrt und Pfingsten.
