Kraniche
(Pfarrerin Renata Pense) Haben Sie sie in diesen Tagen schon gesehen? Oder ihre Lockrufe gehört? Ich habe sie zum ersten Mal in diesem Herbst am vergangenen Dienstag am Himmel entdeckt: die Kraniche! In Einserformationen ziehen sie wie jedes Jahr Richtung Süden. Ich bleibe stehen, blicke nach oben und staune. Es sind nur wenige Vögel, aber genauso wie bei den großen Schwärmen sind sie wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Ein bisschen sehnsüchtig schaue ich ihnen nach. Zugvögel lassen sich ja nicht irritieren, sie kennen ihren Weg. Wie oft habe ich dieses fantastische Schauspiel schon beobachtet und mich jedes Mal aufs Neue gefragt: Woher wissen die eigentlich ihre Richtung? Wer führt sie zum Ziel? Und wie gelingt es ihnen, sich ohne Streit in die Gemeinschaft einzureihen, mal an der Spitze, mal weiter hinten im Zug? Für mich sind die Kraniche ein Wunder der Schöpfung und ich kann wieder nur staunen, auch wenn ich weiß, dass man das naturwissenschaftlich gut erklären kann. Aber da gibt es eine Grenze des Begreifens, denn das Staunen ist ja eine Vorstufe zum Glauben. Wer staunen kann, steht also schon mit einem Bein im Glauben. Und so gilt das Staunen auch als eine alte Form des Gebets. Es ist der Moment, an dem ich nicht alles verstehe und begreife, dass es Größeres gibt als mich selbst und meine Gedanken. Ich muss anerkennen, dass ich als Mensch an Grenzen stoße und keine Erklärung mehr habe für Dinge, die in der Natur geschehen. Das kann doch kein Zufall sein! Überbegreiflich ist das alles – und es muss wohl einen Schöpfer geben, der sich dies alles ausgedacht hat. Im Staunen öffnet sich unser Herz und durch diese Öffnung kann der Glaube einziehen. Ich jedenfalls freue mich schon auf die nächste Begegnung mit den liebgewonnenen Kranichen, spitze meine Ohren für ihren Lockruf und suche den Himmel ab nach den Einserformationen. Denn beim Anblick der dahin ziehenden Vögel empfinde ich Ehrfurcht und richte meinen Dank an Gott.
